An der Börse kann man Wertpapiere verkaufen, die gar nicht im Depot enthalten sind. Im Englischen heißt Leerverkauf Short Sale oder Short Selling. Wertpapiere, Devisen und Derivate wie Optionen, Futures sowie Waren können zum Leerverkaufen genutzt werden. Ein Leerverkäufer leiht sich beispielsweise bei Fonds Aktien aus, um diese zu einem vereinbarten Termin an den Verleiher zurückzugeben. Er spekuliert darauf, dass die Papiere bis dahin am Aktienmarkt im Kurs gefallen sind. Damit kann er diese zu einem günstigeren Preis erwerben, als er sie verkauft hat. Sein Gewinn liegt in der Differenz zwischen dem vereinbarten Verkaufspreis und dem tatsächlich für die Aktie gezahlten Preis.
Der Leerverkauf kann sowohl am Kassamarkt stattfinden als auch mittels Termingeschäft abgewickelt werden. Kassa bedeutet sofort oder innerhalb einer sehr kurzen Frist, üblich sind zwei bis drei Geschäftstage. Beim Kassageschäft muss der Leerverkäufer innerhalb dieser kurzen Zeitspanne die Wertpapiere an den Verleiher zurückgeben.
Bei einem Termingeschäft muss das verkaufte Papier erst zu einem weiter in der Zukunft liegenden Zeitpunkt geliefert werden. Dabei kann sich der Leerverkäufer entscheiden, das gehandelte Wertpapier zu erwerben und zum Ablauf des Terminkontrakts zu liefern oder seine Position vor Auslaufen des Termingeschäfts glattzustellen. Er schließt ein genau entgegengesetztes Geschäft ab, das heißt, er kauft das Wertpapier, das er zuvor leerverkauft hat.
Mit Leerverkäufen lassen sich mehrere Ziele verfolgen. In der Mehrzahl dienen diese der Spekulation auf fallende Kurse an den Märkten. Hauptsächlich institutionelle Anleger nutzen Leerverkäufe ebenso zum Generieren von Arbitrage-Erlösen zwischen Kassa- und Terminmärkten, indem sie deren Preisunterschiede ausnutzen. Kann ein Wertpapier zum höheren Preis am Terminmarkt verkauft werden, wird der Leerverkäufer sich zu den niedrigeren Kassakursen eindecken. Nicht zuletzt können einzelne Positionen bzw. ganze Depots mittels Short Selling abgesichert werden, indem Käufe mit Leerverkäufen gleicher oder ähnlicher Finanzinstrumente kombiniert werden. Für Hedgefonds gehören Spekulationen auf fallende Kurse bzw. Absicherungstrategien zum Geschäftsmodell, um maximale Gewinne zu erzielen.
Mithilfe von Leerverkäufen können Marktteilnehmer außergewöhnlich hohe Renditen erreichen. Das bedeutet jedoch, dass man die Risiken nicht ignorieren sollte. Wenn die Wette auf sinkende Wertpapierkurse nicht aufgeht, ist der Short Seller gezwungen, das Papier zu einem höheren Kurs zu kaufen, um seine Lieferverpflichtung zu erfüllen. Das Verlustpotenzial kann dabei unbegrenzt sein. Im Extremfall ist es aufgrund von Liquiditätsproblemen oder Vorschriften nicht möglich, das Finanzinstrument fristgerecht am Markt zu erwerben. Dann kann der Käufer des Wertpapiers vom Termingeschäft zurücktreten und eine Entschädigung vom Leerverkäufer verlangen. Die Leihgebühr und Transaktionskosten sowie Zinsen für die geliehenen Werte vermindern den Ertrag des Leerverkaufs.
Leiht sich der Leerverkäufer die Papiere von anderen Marktteilnehmern, handelt es sich um einen gedeckten Short Sale. Bei ungedeckten Leerverkäufen besitzt der Anleger weder die Papiere noch leiht sich diese, so dass die Verlustrisiken durch das Scheitern des Geschäfts oder Kursbewegungen entgegen der Verkäufererwartung unendlich wachsen. Da damit auch die Kurse an den Märkten in entscheidender Weise beeinflusst werden können, sind ungedeckte Leerverkäufe sehr umstritten. Das ungedeckte Short Selling von bestimmten Wertpapieren war in Deutschland im Zuge der letzten großen Finanzkrise zeitweilig verboten. Seit 01.11.2012 gilt die EU-Regulierung für ungedeckte Leerverkäufe, die Verbote für derartige Transaktionen in Aktien, öffentlichen Anleihen und Kreditausfallversicherungen auf diese sowie Transparenzregeln beinhaltet. Leerverkäufe sind jedoch nicht per se zu verurteilen, da sie zur Liquidität der Märkte beitragen und Risiken in Portfolien minimieren können. Fragwürdig werden Leerverkäufe jedoch dann, wenn sie von Interessen geleitet sind, die denen anderer Marktteilnehmer widersprechen oder diesen sogar schaden. So bringen unseriöse Investoren im Rahmen von Leerverkäufen Fehlinformationen in Umlauf, um Wertpapierpreise zu drücken. Investmentfonds verleihen beispielsweise Aktien an Hedgefonds, die damit auf sinkende Kurse setzen, obwohl die Fondskäufer steigende Kurse erhoffen.
Durch Leerverkäufe wird es möglich, an fallenden Kursen zu verdienen. Short Selling ist jedoch von den vorhandenen Wertpapieren, deren Liquidität und Kursentwicklung abhängig. Privatanleger sollten die Risiken nicht unterschätzen. Sie können nicht nur zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals führen, sondern weit darüber hinausgehen, wenn die Preise der Finanzinstrumente steigen, statt wie erwartet zu sinken. Gelingt es nicht wie geplant den ausgewählten Wert zu einem niedrigeren Preis zu beschaffen, muss der Leerverkäufer ggf. überhöhte Preise tragen oder dem Käufer Schadenersatz zahlen. Sinnvoll ist Short Selling als Schutz für aufgelaufene Gewinne oder für Portfolien, die gegen Kurseinbrüche abgesichert werden sollen.
Zusammenfassung: